Rainer Romer
Bedrohte Helfer
Kein anderes Insekt dieser Erde hat eine ähnlich komplexe Lebensweise entwickelt wie die einheimische Honigbiene, die bei uns zuhause ist. Doch dieses Zuhause ist in Gefahr. Umweltgifte und Pestizide schaden nicht nur dem Menschen, sondern auch der Biene.
Mein Blick in die Welt der Bienen
Honigbienen gehören zu den staatenbildenden Insekten und sind sogenannte eusoziale Wesen. In dem gut organisierten Staat gibt es eine Königin, die für den Fortbestand des Volkes Eier legen kann. Die weiblichen Arbeiterinnen verzichten auf eigene Fortpflanzung und pflegen gemeinschaftlich die Brut.
Sie füttern darüber hinaus die Königin und die männlichen Bienen, die sogenannten Drohnen. Mehrere Generationen von Bienen leben in einem Volk
zusammen.
Die Intelligenzleistungen von Bienen in einem Volk sind in keiner Weise auf Insektenniveau. Der Bien, wie ein Imker ein Bienenvolk zu nennen
pflegt, nimmt es mit seinen kognitiven Fähigkeiten durchaus mit einem
Schimpansen auf. Dabei bedienen sich die Bienen in der Gruppe sehr
ausgeklügelter Mechanismen, mit deren Hilfe sie Entscheidungen fällen. Lebensentscheidende Entscheidungen zuweilen, z.B., wenn es um die Frage geht, wohin ein Schwarm zieht, wenn er erst einmal am Baum hängt. Dann klappern Spürbienen den Bienenwohnungsmarkt ab. Sie können das Volumen einer Nisthöhle auf Eignung abschätzen, also deren Rauminhalt berechnen – ganz ohne Abitur. Es fällt ihnen leicht, mittels ihres Schwänzeltanzes ihren Artgenossen zu erklären, wo genau sich diese neue Wohnmöglichkeit befindet. Mit untrüglicher Gewissheit wählen Bienenschwärme am Ende ihres Entscheidungsprozesses die
am besten geeignete Behausung nach vollkommen demokratischen Regeln
aus. Der Entscheidungsprozess für einen Bienenschwarm endet zudem
regelmäßig in einem Konsens, keine Biene bleibt am Baum zurück.
Wie sähe unser Leben ohne Honigbienen aus?
80 Prozent unserer Lebensmittelgrundlagen einschließlich des Futters für unsere Schlachttierhaltung hängen direkt von der Bestäubungsleistung der Honigbienen ab. Ohne diese immer fleißigen Tiere würden sehr schnell Hungersnöte und vermutlich Kriege um die letzten Nahrungsreserven entstehen.
Den Bienen jedoch geht es schlecht. Im Wald, wo sie ursprünglich herkommen,
gibt es keine geeigneten hohlen Bäume mehr, sondern durchorganisierte
Holzindustrie-Plantagen. In den intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen
Fluren und Feldern finden Bienen eine ausgeräumte Landschaft vor, die keine ganzjährige Nektar- und Pollenversorgung mehr anbietet wie noch vor 100 Jahren.
In den Wohnsiedlungen haben die Menschen in der Nachkriegszeit die vormals zumeist als Gemüsegarten genutzten Hinterhofbereiche zugebaut – verschwundene Nahrungsquellen der Honigbienen. Heutzutage gefällt sich die nunmehr am Schalthebel der Macht sitzende Generation Golf darin, die Vorgärten durch Steingartenarrangements zu verschönern. Trachtpflanzen? Leider Mangelware! Mitarbeiter des städtischen Gartenbauamtes und Privaties gleichermaßen mähen vorhandene Rasenflächen mit einer Gründlichkeit, als ob sie dafür bezahlt würden. Regelmäßig geschnittene Rasenflächen ohne Klee oder Löwenzahn stellen für Bienen jedoch keinerlei Nektar- oder Pollennutzen dar. Pestizide bedrohen die Honigbiene zusätzlich und die 1977 nach Deutschland
eingeschleppte Varroamilbe stellt für die Biene eine ernsthafte Gefahr dar, der sie ohne imkerliche Hilfe bis auf weiteres nicht entkommen kann.
Ein Bienenvolk sammelt pro Jahr etwa 120 Kilo Nektar, und dieser Nektar wird von den Bienen zu etwa 80 kg Honig verarbeitet. Außerdem kommen pro Volk auch noch 30 kg Pollen hinzu. Pollen sind die reinste Form der Kombination von fruchtbarer Erde und Sonnenenergie. Fermentierter Pollen enthält eine Vielzahl von für den menschlichen Körper wertvollen Aminosäuren und ergänzen in nahezu perfekter Weise unser Nahrungsmittelangebot. Umso mehr Bienen an einem Ort leben, umso reichhaltiger fällt auch der Ertrag der bestäubten Pflanzen aus.
beide Tierarten stabilisiert und gegenseitig deren Überleben sichert. Durch Honigbienen im Wald verzehnfacht sich die Anzahl der Ameisenvölker. Und bereits vor 200 Jahren war bekannt: Ameisen schützen und bewahren den Wald vor schädlichen Insekten und Krankheiten.
Was liegt also näher, wie in vielen Städten sichtbar, Bienen zusätzlich im urbanen Raum anzusiedeln? Weil die Bienen ursprünglich aus dem Wald kommen, siedeln begeisterte Imker sie in ausgehöhlten Baumstämmen an. Diese nennt man Klotzbeuten. Immer mehr Imkervereine zeigen großes Engagement, um neuen Lebensraum für die Bienen zu schaffen.
Was verändert sich dadurch in den Städten? Der Effekt eines aktiven Bienenvolkes mit seinem unermüdlichen Fleiß auf uns Menschen beeindruckt und lässt einen aus dem Alltagsstress n eine völlig andere Welt eintauchen. Das Vorhandensein eines Bienenvolkes verändert das soziale Miteinander der Menschen positiv. Das bewusste Wahrnehmen eines Bienenvolkes in einem
Baumstamm stiftet Bewunderung und Achtsamkeit gegenüber der Natur. Kinder, die im Kindergarten oder in der Schule theoretisch lernen, wie ein Bienenvolk natürlich lebt, können es bei einem Sonntagsspaziergang zum Bienenvolk real erleben. Wann fliegen die Bienen im ausgehenden Winter zum ersten Mal? Schwärmen sie im Mai? Kann man beim Auszug des Bienenschwarms aus seinem Zuhause zusehen? Auch der Einzug in sein zukünftiges Zuhause ist ein sensationelles Erlebnis. Man kann vom Umgang mit Bienen leicht süchtig werden,
selbst wenn man beim Imkern ab und zu einen Stich abbekommt.
Die Bienen in der Stadt kommen mit dem vorhandenen Nahrungsangebot erstaunlich gut zurecht. Zu den wichtigsten Nektar- und Pollenlieferanten für die Bienen zählen die mächtigen Baumreihen im städtischen Bereich. Im Frühsommer ziehen der Ahorn und die Robinien, auch Scheinakazien genannt, die Bienen magisch an. Im Sommer beispielsweise blühen die beiden Lindenarten, Sommerlinde und Winterlinde. Dann der Trompetenbaum und die Stinkesche, auch Bienenbaum genannt, weil er von den kleinen Sammlerbienen so nglaublich
gerne angeflogen wird.
Es gibt jedoch auch Zeiten, in denen Blüh-Flaute herrscht. Diese nennt der Bienenimker Trachtlücken. Im April, Mai und Juni erleben die Bienen hierzulande selten eine Trachtlücke. Anders sieht es jedoch nach der Brombeerblüte aus, insbesondere, wenn keine Linden zu Stelle stehen, die den
Hunger der Insekten stillen können. Diese Lücke kann der bienenfreundliche
Gartenbesitzer zum Beispiel durch Anpflanzen der Blauraute oder dem Mönchspfeffer, die im Juli blühen, schließen, oder durch die später blühende Bartblume. Tausende von bepflanzten Balkonen und begrünten Dachterrassen der Bewohner helfen mit, dass die Bienen in der Lage sind, sich Wintervorräte in ihrem Baumstamm anzulegen.
Vorbeugung und Schutz
Böswilliger Vandalismus kann städtische Bienenprojekte gefährden. Um einer Zerstörung vorzubeugen, erhält die Klotzbeute ein solides Fundament. Konstruktiv bauen Stadtimker ihre Baumstammbeuten so, dass sie, falls eine Notfütterung durchgeführt werden muss, eingreifen können. Auch zuständige Bienensachverständige müssen in Notfällen in die Beuten hineinschauen und die Brut auf Krankheiten untersuchen können. Zum Schutz der Bienenvölker vor der
Varroamilbe, einem gefürchteten und lebensbedrohlichen Parasiten, müssen Imker sie im Sommer mit Ameisensäure behandeln und im Winter mit Oxalsäure, auch bekannt als Rhabarbersäure. Beide Säuren sind natürliche Säuren und kommen in geringer Konzentration in jedem Bienenstock vor. Sie verflüchtigen sich nach der Behandlung rückstandsfrei.
Splitter
Hilfe oder Gefahr durch Bienen?
Was ist mit Allergien? Der menschliche
Körper kann sich am erfolgreichsten
gegen Pollenallergien einrichten,
wenn er regelmäßig und vor allem im
Frühjahr eine kleine Menge regionalen
Imkerhonig erhält. Ja, und die
Bienenstiche, wenn die Bienen dann
bei uns auf dem Balkon den Kirschkuchen
anknabbern? Kuchen und andere
Süßspeisen sind für Bienen nicht
süß genug, Bienen fliegen weder auf
Fruchtsäfte noch auf Cola.
Eine Gruppe engagierter Menschen in Karlsruhe bringt die eng verflochtene Beziehung zwischen Tier und Pflanze im Projekt BEETE&BIENEN auf den Punkt und pflanzt im öffentlichen Raum essbare Blütenpflanzen, die sowohl der Biene als auch dem Menschen nutzen. Bienen sollen in der Stadt naturnah leben können, und zwar in Baumstammhöhlen, sogenannten Klotzbeuten. Hierfür werden Baumstämme innen ausgehöhlt und bekommen ein Hohlraumvolumen von ca. 50-60 Litern, ideal für ein Honigbienenvolk. Die Technische Universität (KIT) und die Karlsruher Bürgerstiftung unterstützen dieses Projekt. Das Institut
für Technikfolgen-Abschätzung (ITAS) erforscht im sogenannten „Quartier Zukunft – Labor Stadt“ die Frage, wie sich Menschen in der heutigen Gesellschaft dauerhaft miteinander vernetzen lassen. Es geht hier um die Themenbereiche Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Entschleunigung. Alle diese Bereiche werden von dem Projektansatz in einzigartiger Weise vereint.
Bienen können mit ihren Antennenpaaren miteinander
kommunizieren (links). Ihre Sprache
besteht aus Düften. Ab dem 12. Lebenstag
werden Bienen zu Baubienen und schwitzen
Wachs. Ein Bienenschwarm, der in einen
Baumstamm einzieht, baut sich seine Wohnungseinrichtung
komplett selbst.
- info [at] wattbewerb.de
- +49sieben219431312
- Am Schwalbenloch 1d, 76229 Karlsruhe
